„Fleisch sollte so zäh wie eine Schuhsohle sein.“ Ana Festerling hat einen speziellen Geschmack. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Rogerio Da Cruz, der in der Küche tätig ist, betreibt sie das Bistro Luso Brasileiro. (Christina Kuhaupt)
Nein“, entgegnet sie erneut. „Ich bitte Sie“, versuche ich mich im dritten Anlauf, aber sogar der Koch kapituliert bei ihr. „Sie ist ein Dickkopf. Sie wird es nicht probieren.“
Rogerio Da Cruz muss es wissen. Denn schließlich ist er in den acht Jahren, die er mit der Brasilianerin zusammen ist, schon unzählige Male an ihrem Temperament gescheitert. Wenn Ana Festerling sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es keine Alternative. Genauso wie im Frühjahr 2019, als sie in Walle auf eine dunkle Kneipe stieß. Die 54-Jährige hatte zwar schon einen Vollzeitjob, aber eben auch diesen Traum: „Ich wollte schon immer einen Ort, wo ich mich wohlfühle.“ Und so überredete sie Da Cruz, ein „gemeinsames Baby“ zu bekommen.
Dieses wurde passend auf jenen Beinamen getauft, den in Brasilien jedes Kind erhält, dessen Elternteile aus Brasilien und Portugal stammen: Luso Brasileiro. Heute ist ihr Baby 15 Monate alt und ein fester Anlaufpunkt für die lokale Brasilianer-Community. Festerlings Vision ist aber größer: „Ich möchte viele neue Gesichter begrüßen.“ Ganz klar: Die Frau weiß, was sie will. Und ebenso – wie beim von mir Medium bestellten Rindersteak (15 Euro) – was sie nicht will. „Ich esse Fleisch nur, wenn es durch ist wie eine Schuhsohle“, begründet sie ihre rote Geschmackslinie.
Ich liebe es, in meiner einstweilen hybrischen Beanspruchung kulinarischer Deutungshoheit auch mal eine klare Kante entgegengesetzt zu bekommen. Geschmack ist eben relativ. Und man kann sich herzlich darüber streiten. Wie beim argentinischen Rumpsteak, das für mich allemal essbar, aber kein Genuss ist. Die Beilagen aus mit Kardamom gekochtem Reis, Bohnen mit Speck und dem Tomaten-Koriander-Salat sind jedoch allesamt spitze.“
Goldgelb angebraten, butterzart und leicht scharf
Probiert und empfohlen: Als Da Cruz uns die ganze Dorade samt Maniok-Pommes, Gemüse und Salat (20 Euro) serviert, fängt die Gastronomin an zu strahlen. „Ich liebe diesen Fisch“, erklärt sie beim Anblick der im Schmetterlingsschnitt aufgespaltenen Goldbrasse. Tatsache, die Dorade ist goldgelb angebraten, butterzart und dank Zugabe von Piri Piri sogar leicht scharf. Lecker!
Was mich betrifft, so sind das knackig angebratene Brokkoli-, Möhren- und Blumenkohlgemüse und die knusprigen Pommes eine harmonische Ergänzung des Gerichts. „Den Maniok und das Gemüse brauche ich nicht“, notiert wiederum meine Gastgeberin und verrät, dass Fisch in ihrer Heimat, dem Nordosten Brasiliens, grundsätzlich nur mit Reis, Bohnen und frischer Zitrone verzehrt wird. „Heute esse ich es, um schick zu sein“, ergänzt sie halb ironisch – und fängt an zu lachen. Dahinter steckt aber auch halber Ernst. So lasse ich mir erklären, dass der Nordosten als Armenhaus Brasiliens gilt und die Frage, ob man Gemüse isst oder nicht, weniger über kulinarische Vorlieben offenbart als über echte Distinktionen zwischen Arm und Reich. Interessant.
„Wenn wir frei haben, essen wir immer die gemischten Tapas“, freut sich Festerling auf die letzte Speise (12,50 Euro), bei deren Anblick ich den Grund ihrer Vorliebe ahne. Mit Ausnahme des Käses und der Datteln, welche über jede persönliche Kritik erhaben sind, scheint mir alles Weitere so lange in der Fritteuse gelegen zu haben, wie ein Flug nach São Paulo dauert. Klar, man kann diese Variation auf Wunsch „europäisch“ bestellen und glücklich werden.
Aber wenn Sie mich fragen, sollten Sie im Gesuch einer wirklich authentischen Geschmackserfahrung lieber jene Tapas anfragen, die zum Teil gar nicht erst auf der Karte stehen – wie die knusprig frittierten, mit Empanadas vergleichbaren Pastels oder die umwerfenden, Coxinhas genannten Hähnchenkroketten. Unbedingt aber sollten Sie Carne del Sol (6,50 Euro) probieren: Trockenfleisch. Zehn Tage gepökelt, anschließend gekocht und mit Zwiebeln gebraten, haben es mir diese intensiven, supersalzigen und – ja, auch trockenen – Stücke vom Schweinenacken irgendwie voll angetan.
Zur Person
Temi Tesfay hat Hunger auf Bremen. Auf seinen wöchentlichen Streifzügen durch die heimische Gastroszene hat er schon viele Küchen, Köche und kulinarische Schätze der Stadt kennengelernt. Unter dem Titel „Ein Bisschen Bremen“ schreibt er außerdem einen Foodblog.
Weitere Informationen
Luso Brasileiro, Auguststraße 80, 28219 Bremen, Telefon 01 52 / 22 87 66 31. Öffnungszeiten: Donnerstag von 18 bis 22 Uhr, Freitag und Sonnabend von 18 bis 24 Uhr, Sonntag von 12 bis 22 Uhr, Montag bis Mittwoch geschlossen. www.luso-brasileiro.eatbu.com. Nicht barrierefrei.
August 21, 2020 at 10:00AM
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Das Luso Brasileiro ist ein Ort zum Wohlfühlen - WESER-KURIER
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